D-Day: Am 6. Juni 1944 begann die Befreiung Europas vom Nazi-Terror (2024)

Am 6.Juni 1944 begann an der Westküste Frankreichs die grösste Landeoperation der Weltgeschichte. Das Vorgehen der Alliierten war raffiniert und trug in sich schon den Plan einer Neuordnung Europas.

Ulrich Schlie

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D-Day: Am 6. Juni 1944 begann die Befreiung Europas vom Nazi-Terror (1)

Der Nebel des Krieges, der am Morgen des 6.Juni 1944 in den Küstengewässern über den Dörfern La Breche und Lion-sur-Mer hing, stammte von gewaltigen Rauch- und Staubwolken. Es musste nach Karte gefeuert werden, weil vorgeschobene Artilleriebeobachter fehlten. Überall zeugten Granateneinschläge in den Dörfern von den Verheerungen des Krieges, die in diesen Fällen durch britischen Artilleriebeschuss ausgelöst worden waren.

Eine erfolgreiche Landung an einer feindlichen Küste ist eine taktisch-operative Herausforderung, die hohe Anforderungen stellt. Luftunterstützung über den vorgelagerten Küstengewässern und zum Schutz der Schiffe, taktische Bombardements gegen deutsche Küstenverteidigung, Verlegefähigkeit, Aufklärung: Alle Herausforderungen der Luft- und Seekriegführung und die Ungewissheit über den Zeitpunkt des Gegenangriffs der feindlichen Kräfte greifen ineinander.

Das Desaster des Landeunternehmens von Dieppe im August 1942, als kanadische Kräfte nach 24 Stunden den eroberten Hafen in Nordfrankreich wieder den deutschen Besetzern überlassen mussten, wirkte bei den Angloamerikanern traumatisierend nach. Erst im Februar 1944 war im Hauptquartier der Alliierten der Plan für die Landung in der Normandie («Operation Overlord») endgültig bestimmt worden. Der im Vorjahr von US-Präsident Roosevelt für die Operation ausgesuchte Oberbefehlshaber, General Dwight D.Eisenhower, legte dann Anfang Mai 1944 den Beginn der Invasion auf den 5.Juni fest.

Morgens, 6 Uhr 30

Der offizielle Beginn der Landung in der Normandie datiert auf 6.Juni 1944 um 6 Uhr 30 morgens. Die Landungsoperation hatte schon in der Nacht begonnen, als gegen 3 Uhr morgens die ersten Landungsboote bei heftigem Seegang zu Wasser gelassen wurden. Die Schwerpunkte lagen in der Orne-Mündung, an der Küste des Calvados sowie an der Ostseite der Cotentin-Halbinsel im Raum Sainte-Mère-Église. Die Landung wurde durch eine nahezu totale angloamerikanische Luftüberlegenheit ermöglicht.

Die Anlandung von 5 Divisionen über See und 3 Divisionen aus der Luft erforderte eine starke Flotten- und Luftunterstützung. Dabei kamen 7 Schlachtschiffe, 2 Monitoren, 23 Kreuzer, 3 Kanonenboote, 105 Zerstörer und über 1000 kleinere Kriegsschiffe zum Einsatz. Der Kräfteverschleiss der britischen Seestreitkräfte in den letzten Kriegsjahren erforderte es, dass Täuschung, indirekte Angriffe und bewusste Fehlinformationen im Vorfeld der Operation eine erhebliche Rolle spielten.

Das Wann und Wie der Landung der Alliierten war für Hitler schon seit langem die entscheidende militärstrategische Frage gewesen. Die Alliierten hatten alles getan, um die Planer der Wehrmacht im Ungewissen zu lassen. Würde die Landung in Nordnorwegen erfolgen, westlich von Caen oder doch in der Normandie? Die Auffassungen zwischen dem Oberbefehlshaber West, Generalfeldmarschall Gerd von Rundstedt, und dem Befehlshaber der Heeresgruppe B der Küstenverteidigung von den Niederlanden bis zur Loire, Generalfeldmarschall Erwin Rommel, gingen auseinander.

Durchs hüfttiefe Wasser

Es waren unterschiedliche militärische Naturelle, die aufeinandertrafen. Rundstedt verliess sein Hauptquartier äusserst selten und führte von seinem Stab aus durch Weisungen. Seine Konzeption der beweglich geleiteten Abwehr freilich war so illusorisch wie die Pläne des einstigen Lieblingsgenerals der nationalsozialistischen Propaganda, des «Wüstenfuchses» Erwin Rommel: Sie waren darauf ausgerichtet, den Gegner noch während des Landungsmanövers ins Meer zurückzuwerfen.

Der Angriff auf Utah Beach war durch die 4.US-Infanteriedivision bei nur geringem Widerstand gelungen. Die amerikanischen Amphibienpanzer erreichten sicher die Landseite, B-26-Bomber gewährleisteten Luftunterstützung, und die Infanteristen wateten mit ihren Gewehren über dem Kopf durch das hüfttiefe Küstengewässer. Luftlandedivisionen hielten die eroberten Städte so lange, bis seeseitige Verstärkung eintreffen konnte. Dann gelang dem britischen Generalfeldmarschall Montgomery an Gold Beach, Juno Beach und Sword Beach die erfolgreiche Landung.

Allerdings hatten hier Strandbarrieren und eine schwächere seeseitige Unterstützung zunächst für grössere Schwierigkeiten gesorgt. Grössere Verluste der Alliierten gab es vor allem bei der Landung am Omaha Beach, wo nur 5 der 32 Amphibienpanzer den Strand erreichten und es zu verlustreichen Gefechten mit den aus ihren Artillerie- und MG-Stellungen feuernden Wehrmachtkräften kam.

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«Gefahr im Westen»

Für Hitler war das Jahr 1944 ein Fiasko. Im März hatte die Grossoffensive der Roten Armee mit dem Vorstoss bis zu den Karpaten zu einer Aufsplitterung der deutschen Kräfte geführt, um Galizien und Rumänien halten zu können. Seit Mai hatten alliierte Luftangriffe gegen die Werke der synthetischen Treibstoffherstellung die deutsche Kriegsmaschinerie empfindlich getroffen, und die britisch-amerikanische Grossoffensive in Italien hatte bereits am 4.Juni zum Verlust von Rom geführt.

Durch den Zangenangriff der Roten Armee vom 22.Juni 1944 deutete sich bereits der Zusammenbruch der deutschen Heeresgruppe Mitte an, die einen Vormarsch der sowjetischen Streitkräfte bis zur Bucht von Riga und an die Grenze Ostpreussens ermöglichen sollte. In Hitlers Strategie bildete trotz den militärischen Katastrophen im Osten im Jahr 1944 die Abwehr der Landung der Alliierten den strategischen Schwerpunkt.

In seiner Weisung Nr.51 für die Kriegführung vom 3.November 1943 hatte Hitler diese strategische Lage und die Gefahren vorausschauend beschrieben: «Die Gefahr im Osten ist geblieben, aber eine grössere im Westen zeichnet sich ab: die angelsächsische Landung ... Gelingt dem Feind hier ein Einbruch in unsere Verteidigung in breiter Front, so sind die Folgen in kurzer Zeit unabsehbar. Alle Anzeichen sprechen dafür, dass der Feind spätestens im Frühjahr, vielleicht aber schon früher, zum Angriff gegen die Westfront Europas antreten wird. Ich kann es daher nicht mehr verantworten, dass der Westen zugunsten anderer Kriegsschauplätze weiter geschwächt wird.»

Separate Friedensschlüsse?

Hitler nahm in seiner Strategie damit mit der Frage einer künftigen Invasion das Kernproblem der kontinentaleuropäischen Rückenfreiheit auf. Dieses Problem hatte seine strategische Entsprechung in der von Stalin seit dem japanischen Überfall auf Pearl Harbor am 7.Dezember 1941 immer wieder geforderten Errichtung einer zweiten Front in Europa zu seiner Entlastung. Es dauerte volle drei Jahre, bis die Westalliierten die von Churchill an Stalin schon im Juli 1941 gegebene Zusage, alles Vernünftige und Wirkungsvolle zu dessen Unterstützung zu leisten, mit der Landung in der Normandie in die Tat umsetzten.

Das Misstrauen der Sowjetunion gegenüber ihren westalliierten Verbündeten in der Anti-Hitler-Koalition ist durch diese Verzögerung nicht kleiner geworden. Immer wieder hatte es grosse Enttäuschungen gegeben. So waren frühere Äusserungen von Aussenminister Cordell Hull von der Sowjetunion zunächst so gedeutet worden, dass es schon 1942 zu einer amerikanischen Landung in Nordfrankreich kommen würde.

Immer wieder waren aus neutralen Staaten Signale gekommen, die auf ein Unterlaufen des Prinzips der bedingungslosen Kapitulation durch Verhandlungen über separate Friedensschlüsse gedeutet wurden. Das ganze Jahr 1943 über hatten unterschiedliche militärstrategische Auffassungen über die Schwerpunktbildung zwischen britischen und amerikanischen Planungsstäben für Missstimmung gesorgt.

Hitlers Festung Europa

Der Chef des Empire-Generalstabs, Alan Brooke, hatte in Casablanca, im Januar 1943, für die Eröffnung einer zweiten Front im Mittelmeerraum plädiert, um die Kräfte der Hitler-Koalition in einem Abnutzungskrieg so zu schwächen, dass die Invasion in Frankreich in jedem Fall gelingen könne. Dagegen stand die Vorstellung, der Churchill eine Zeitlang anhing, eine zweite Front im Balkanraum zu errichten, um von Südosten her Hitlers Festung Europa zu attackieren.

Auch eine Landung in Nordnorwegen war eine Zeitlang als militärstrategische Alternative gehandelt worden. Der Befehlshaber des britischen Bomber Command, General Arthur Harris, hatte 1943 für massive Luftangriffe gegen Berlin plädiert, um die Reichshauptstadt in Schutt und Asche zu legen und so ein vorzeitiges Kriegsende zu erreichen.

Dass die Landung der Westalliierten mit der Invasion der Normandie verbunden wurde, entsprach dem sowjetischen Kalkül. Nichts fürchtete Stalin mehr als eine Schwerpunktbildung der Kriegführung im östlichen Mittelmeerraum. Dies hätte bedeutet, dass Briten und Amerikaner weiter nach Mittel- und Ostmitteleuropa hätten vorstossen können. Die Landung in Nordfrankreich war damit auch eine Vorentscheidung, was die deutschlandpolitische Nachkriegsplanung und die Haltung zur Sowjetunion betraf.

Tauziehen der Verbündeten

Es zeigte sich einmal mehr, wie sehr die Alliierten noch immer die Gegenwehr des Deutschen Reiches überschätzten. Die politischen Perspektiven Europas waren zunehmend verhangen. Hitler hielt auch nach der erfolgreichen alliierten Landeoperation in dem nunmehr völlig aussichtslosen Krieg an seinen strategischen Vorstellungen fest. Der Staatsstreichversuch der innerdeutschen Opposition vom 20.Juli 1944 scheiterte.

Die angloamerikanischen Verbände konnten nun bis zur Grenze des Deutschen Reiches vorrücken, an einigen Stellen schon darüber. Die Fragen der künftigen Nachkriegsordnung wurden durch das militärische Ringen entschieden. Bald schon sollten sie das politische Tauziehen der Verbündeten der Anti-Hitler-Koalition auf den Kriegskonferenzen der Alliierten bestimmen.

Der Historiker Ulrich Schlie ist Henry-Kissinger-Professor für Sicherheits- und Strategieforschung an der Universität Bonn.

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